Samstag, 5. Juni 2010

die hängenden Tiere

Am 5. Juni wurde zum ersten Mal ein Tabutier in Klosters gesichtet. Es sieht so aus als würden sie sich langsam über das ganze Tal verbereiten. Wir werden dem Geschehen unsere Aufmerksamkeit schenken ...

Dienstag, 1. Juni 2010

die besprochene Sammlung




Birgit Kempker, die besprochene Sammlung, Dienstag 11.Mai 2010. Auf Besuch bei Peter Guler.


Die Sammlung von Peter Guler,

die er mir zeigt, sind Puzzles von ihm selbst, sagt er. Ich frage nach, ob sie wirklich Teile von ihm selbst seien, oder Stellvertreter, also für Teile von ihm selbst stünden, oder symbolische Besetzungen seien. Nein, wirklich Teile, sagt Peter Guler. Und wenn einem dieser Teile etwas geschähe? Ja, dann geschähe es auch ihm selbst. Dem Milchtopf. Der Schreibfeder. Ich übersetze die Namen für diese Gegenstände ins schriftdeutsche und weiss, ich tue damit etwas für Peter Guler Grenzwertig. Überhaupt, indem ich dieses Sammeln von Mosaiken von mir aus zu verstehen, oder eher anzusehen versuche, bin ich in Gefahr, identitätsräuberisch vorzugehen, denn ich mache daraus meine Sicht der Dinge, die da für mich schon auf dem Tisch in der Laube vorbereitet liegen. Ich kann sie aber nicht anders sehen, als mit meinen Augen in meinem Kopf, und darin ist anderes los als im Kopf von Peter Guler, doch teilen wir den Respekt vor dem, was da ist, auch wenn man es nicht so direkt sieht. Es ist spürbar in der Atmosphäre.

Irdeni Milchbecki. Ds Chopfräf. Ds Menichummed. Ds Rüggchübeli. D Chämma. Di Tringgetta. Miis Hüüschi. Ds Nanisch Fäderahalter. Das und viele andere sind Relikte aus seiner Kindheit. Erinnerungsstücke. Nabelschnüre. Übrig gebliebene Heimat und Schmiere, mit denen er seine Seelenfäden gegen das Heimweh gesalbt habe, übersetze ich, obwohl es nicht geht.

Nur er habe die in den Dingen gespeicherten Erfahrungen und Bezüge. Magische Verwurzelungen. Tief in die Erde reichend. Die Plazenta der Geborenen wurde im Keller dieses Hauses seit Generationen vergraben, ein Ritual, in dem er nun lebt. Ich meine das so, er lebt im Ritual und im Haus, gleichzeitig. Es bringe der Familie Glück. Es ist das Geburtshaus seiner Grossmutter. Fast alle in der Familie hätten ihm davon abgeraten, dieses baufällige Haus aus dem 18. oder sogar 17. Jahrhundert nach der Teilung des Erbes zu übernehmen. Er habe sofort im Winter, in den ersten Ferien, mit dem Hausgeist Baltasar Kontakt aufgenommen und die Seele vom Haus, die Altvordersten aufgespürt, kalt wars schon gewesen im ersten Winter, aber er habe sich halt ins Haus verliebt. Später hat er den Boden des Erdgeschosses gesenkt, das Dach des ersten Stockes gehoben, sodass man drin gehen kann, aber so weit es geht, die Dinge gelassen, wie sie sind.

Wir sprechen über Identität, warum diese zu verteidigen sei und immerzu angegriffen werde. Wir sprechen über die Kraft der Hauszeichen, Runen, Namen, Wappen, und über ihre weisse und schwarze Magie. Peter Guler schenkt mir einige dieser Geschichten aus Haus und Garten, die er 2009 aufgeschrieben hat in seiner Sprache. Das Walserdeutsche ist für ihn ein wichtiger Ort der Überlieferung, Bewahrung, Kulturträger und Zeitzeuge, ein lebendiges Medium, eine Herzensangelegenheit. Er schenkt mir auch das Buch über die Runen, in denen er nicht alles verraten habe, was er bei seinen Studien in Erfahrung gebracht hat, wegen der Gefahr des Missbrauchs solchen Wissens. Hitler habe 13 Runenmeister als Berater gehabt.

Er hat als Halbwaiser sehr früh Verantwortung übernehmen müssen, 6 Monate Schule, 6 Monate Ferien, das hiess Ziegen und/oder Kühe hüten den ganzen Tag. Eine strenge Mutter. Ich bekomme besonders ein Gefühl für die Bedeutung der Grossmutter, in deren Haus ich hier mit Peter Guler spreche, ds Nani, sie wäre jetzt 124 Jahre alt, sie ist mit 80 gestorben. Peter Guler zeigt mir die Feder, mit der ds Nani geschrieben hat und erzählt wie, nämlich wie ein Adler, über dem Papier kreisend, auf Beute lauernd, dann plötzlich den ersten Buchstabend setzend, dann wieder Tinte, kreisen, kreisen und zustechen. Das Schreiben war für ds Nani damals eine bedächtliche Handlung. Nein, sie haben die Feder nicht ausprobieren dürfen, sie sei nach Gebrauch gesäubert und dann im Nähtischchen verschlossen worden. An jedem Gegenstand hängen wie mit unsichtbaren Fäden Handlungen, Situationen, eigene Zeit von früher, die nur er erlebt hat, die nur ihm gehören.

Wenn ich mir Heimatkundemuseen vorstelle, dann verstehe ich sehr, dass hier Geschichte ausgeräubert wird und leer gesogen, alles weg, alles Didaktik, Ordnung, Vermittlung, als ob dadurch den Gegenständen die Aura abgeschnitten würde, als ob sie verkümmerten in einer so sterilen und sie vor allem annektierenden Umgebung. Ich verstehe etwas mehr, es geht auch um das Missverstanden werden, das nicht gesehen werden, oder eben schlimmer: falsch gesehen werden, es geht um das Übersetztwerden, was in Peter Gulers Fall, für ihn nicht angenehm, nicht mal zu akzeptieren ist. Weil dabei so vieles verloren geht? Weil es, das Missverstandene, in einen fremden Bereich hinein geraubt wird? Es geht um Autonomie. Das verstehe ich. Um die Bewahrung des Eigenlebens. Um den eigenen Willen und das Unbehagen, einem fremden Willen zu Willen zu sein, und sei es nur passiv, als Objekt des Verstandenwerdens, Gelesenwerdens. Und das hat mit dem Eigenleben der Dinge und Wesen zu tun. Also geht es ums Wesentliche. Darum, Wesentliches nicht zu veräussern. Als würde man es dadurch verraten. Sich selbst prostituieren. Sich keinem fremden Willen beugen. Und: es recht tun. Der Rat vom Nani, er müsse ja gar nicht gehorchen, als kleiner Bub, er müsse es nur recht tun. Es richtig machen. Es gut machen. Das Richtige richtig gut machen. Gegen die Mutter habe er rebelliert, aber ds Nani hatte eine so weise Art, ich hätte ds Nani gerne kennengelernt, etwas hab ich es auch.